Vom Schreiben, Fotografieren und dem Aufenthalt in der Natur
Es ist Mai, die Rapsfelder blühen, die tierischen Kinderstuben sind eröffnet, bei einigen Wildtieren jedenfalls, während vor allem in der Vogelwelt noch eifrig Reviere ersungen und die Heimgekehrten von Artgenossen und den Bekannten der letzten Jahre begrüßt werden.
Aber eigentlich sollte ich schreiben. Eigentlich. Da liegt ein Romanentwurf auf meinem Computer, an dem ich seit mehr als zehn Jahren schreibe. Der größte Teil ist geschrieben, ich müsste nur noch...
Seit einigen Monaten achte ich penibel auf meinen Kamerarucksack, der immer geladene Ersatzakkus, zusätzliche Speicherkarten und Ausrüstung für alle Wetterlagen enthält. Soll ich da wirklich diese olle Kamelle weiterschreiben?
Mehr als zehn Jahre blieb meine Lust erhalten, an dieser Geschichte weiterzuschreiben - wenn auch mit Schwankungen. Immer wieder habe ich mir Auszeiten organisiert, Urlaube genutzt, mich mit anderen ausgetauscht, mir Motivation und Rückmeldung geholt in der Gewissheit, dass ich sie irgendwann zuende schreibe. Nur eben nicht jetzt. Jetzt möchte ich rausgehen und fotografieren.

Wie bei so vielen kam der Wunsch nach Natur während der Corona-Zeit. Es ist das Sehen, was so nahe liegt: der eigene Kiez, die Stimmung in einer ungewohnt leeren Stadt, die Zeit zum Ausprobieren, zum Experimentieren. Dabei ist Fotografie etwas, was in meinem Leben immer wieder eine Rolle gespielt hat. Mehrfach hatten wir in der Schule in der Dunkelkammer Filme entwickelt und Abzüge gemacht, ehe ich herausfand, dass in Kisten gelagert auch bei uns im Keller eine komplette Ausrüstung dafür vor sich hin dämmerte.
Doch komischerweise kamen in dieser Zeit, in der ich sehr schnell wieder in Präsenz arbeiten musste und Homeoffice die Ausnahme war, zwei Dinge zusammen: Die Lust, rauszugehen und die Welt durch meine (damals 300 mm) Linse zu sehen, und die Aufmerksamkeit für die Stadtvögel, die meinen Balkon als Ansitz nutzten.
Was mich dabei am meisten "geflasht" hat? Dass ich so unfassbar wenig wusste. Wie aufgeregt ich war, dass da ein Vogel auf dem Balkon saß, den ich noch nie gesehen hatte (dachte ich), etwas Exotisches wie einen Grünfinken. Nein, bewusst hatte ich ihn noch nie gesehen. Das Bewusstsein für das, was hier eigentlich um uns herum lebt - in der Stadt, im Umland, in Naturschutzgebieten, Mooren, meinem geliebten Wattenmeer und so weiter, das wurde auf einmal wichtig für mich.
Fester Job, 39-Stunden-Woche, viel zu viel Computerarbeit und Schreiben als Hauptthema meiner Erwerbstätigkeit - und dann sitzt da ein Greifvogel auf dem Nachbarbalkon, sehe ich Seeadler im Berliner Umland und Biber vor der Haustür. In meiner Freizeit muss ich einfach raus!