Weihnachten oder wenn die Tage wieder länger werden
Schreiben lernen
Auswandern
Lachen
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Weihnachten oder wenn die Tage wieder länger werden

Die halbe Welt feiert am 20./21. Juni den längsten Tag des Jahres. Wenn man es aber genau betrachtet, müsste man eigentlich den 21./22. Dezember mindestens genau so verrückt feiern. Schließlich werden ab da die Tage wieder länger.
Meistens mag ich die dunkle Jahreszeit, klar gibt es Tage, da freue ich mich über Sonnenschein und spüre auch, dass wir diese hellen Tage dringend für Körper und Seele brauchen. Aber diese Dunkelheit birgt für mich auch so unendlich viel Gemütlichkeit. Gerade beim Schreiben finde ich es wunderbar, wenn der Raum nur durch die Schreibtischlampe beleuchtet wird, das Licht fokussiert den Text. So muss das sein!

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Schreiben lernen
Schreiben lernen war mir zu anstrengend, bezog sich das doch damals vorrangig aufs Schönschreiben. Und das war für mich so unglaublich überflüssig, es musste doch wohl reichen, dass ich „OMA“ richtig geschrieben hatte. Warum sollte es denn auch noch fünf volle Zeilen füllen?
Irgendwann kam ich darauf, dass man „OMA“ ja einfach nur schön breit schreiben muss, dann passt es nur einmal in die Zeile. Meine Lehrerin fand den Einfall nicht so genial und quittierte mir das auch gleich mit einer 4, was mich so wütend machte, dass ich das auch lautstark zum Ausdruck brachte, mit dem Ergebnis, dass nun auch noch ein Eintrag im „Muttiheft“ folgte. Und „Mutti“ hat dann zu Hause auch gleich einen Vortrag über Fleiß und all so etwas gehalten und ich verstand die Welt nicht mehr. Abends wurden die Früchte meiner Arbeit auch noch meinem Papa präsentiert und ich erwartete ängstlich die nächste Standpauke. Aber mein Vater sah sich mein Heft an, schmunzelte und sagte: „Ist doch alles richtig geschrieben.“ Damit war die Welt wieder in Ordnung für mich.
Heute bin ich froh, dass wir damals noch so viel „Schönschreiben“ mussten und bin ganz zufrieden mit meiner Handschrift.

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Auswandern

Auswandern in ein neues Land
Mut oder Wahnsinn,
Neugier oder Flucht,
Beruf oder Liebe.

Auswandern in ein neues Land
Leben wie zuvor
unter fremden Menschen,
in einer anderen Kultur.

Auswandern in ein neues Land
Neue Eindrücke,
neue Erfahrungen,
neue Freunde.

Auswandern in ein neues Land
Andere Sprache,
andere Sitten,
ein anderes Leben.

Auswandern in ein neues Land,
in ein neues Leben,
fern vom alten Zuhause,
in einer neuen Heimat.

Aber was ist Heimat?

Charly

Was wäre, wenn wir plötzlich alle hier in die damalige Zeit zurückversetzt werden? Welche Rolle würden die Leute um mich herum wohl einnehmen? Wahrscheinlich würden sie alle, wenn ich sie das jetzt fragen würde behaupten, dass sie selbstverständlich die „Guten“ wären. Keiner würde wohl angeben, dass er zu den „Bösen“ gehören würde. Dabei wurde die Frage nach dem Gut und Böse noch völlig anders gewertet als heute.

Die Gruppe geht weiter über einen hellen Flur, an den Seiten alle zwei drei Meter eine schwere Stahltür, am Ende Glasbausteine. Das alte abgelaufene Linoleum quietscht unter den Schuhen der Besuchergruppe, die Luft ist stickig. Der Guide öffnet eine Tür und gibt den Blick frei auf einen fast leeren Raum. Nur eine Liege, ein Stuhl ein kleiner Klapptisch an der Wand, ein Eimer an der Tür.

Während Charly, der Guide, die Funktion der Glühlampen über dem Bett erläutert, die Quälerei des ewigen Licht an und aus in der Nacht und das Rumsen der Tür vorführt, möchte ich mir am liebsten die Ohren zu halten. Obwohl ich die Führung mit Charly hier nun schon zum dritten Mal mitmache, gruselt es mich immer noch bei dem Gedanken, wie damals alles war.

Weiter geht die Führung durch das Labyrinth der Flure und Treppenhäuser, hinaus über einen ausladenden Hof und wieder hinein in einen kleinen Hof. Hier durften sie damals einmal in der Woche für eine Stunde an die frische Luft. Charly macht es vor: Hände auf den Rücken, Kopf geradeaus und dann los, 15 Schritte benötigt er für eine Runde.

Ein Mann aus der Gruppe flüstert seiner Partnerin etwas zu. Charly fordert ihn auf seine Frage ruhig zu stellen. Er zögert. Dann fragt er doch: „Wieso haben sich die Menschen das alles gefallen lassen?“ Charly schmunzelt und fragt zurück: „War ihr Vater für Hitlers Truppen im Krieg?“ – Stille, kein Wort. Der Mann schaut betreten zu Boden.

Wieder überlege ich, wer von den Menschen hier wohl Insasse oder Wärter oder Vernehmer gewesen sein könnte.

Am Ausgang verabschiedet sich Charly von der Gruppe, ich gehe mit ihm noch in sein Büro und trinke mit ihm einen Kaffee. „Wieso hast du ihm vorhin nicht erklärt, dass keiner von diesem Gefängnis hier wusste?“ Charly dreht sich eine Zigarette, überlegt und sagt: „Weil dieser Mann keine Erklärungen wollte, der wollte urteilen. Und von Urteilen von Unbeteiligten habe ich die Nase voll.“

Wieder fällt mir mein Gedanke von vorhin ein. Ich erzähle Charly davon und seine Antwort: „Der wäre Vernehmer gewesen!“

 

Charly war mehrere Jahre als Zeitzeuge in der Gedenkstätte Hohenschönhausen tätig. Er war ehemaliger Insasse und war einer der wenigen, die dort eine sehr ehrliche offene Führung ohne Hass zu verbreiten, machten.

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Lachen

Sein Blick über den großen leeren stillen Platz
so ernst und doch zufrieden.
Ihm ist nicht wohl mit dieser Zufriedenheit
und der Ruhe

Der Wind weht leicht,
der sich sanft im Wind wogende Ast der Linde,
ist wie ein Winken
in weite Ferne

Nur manchmal sieht er einen anderen Menschen
sich ebenso still umschauen,
geht durch den Torbogen am Ende des Platzes
und hört Kinderlachen, fröhliches Lachen aus weiter Ferne.

11 Gedanken zu “Schreibwerkstatt_Jana”

  • Zeitzeuge Charly. Dein Text hat mich erreicht. Brachte mich zum Nachdenken. In diese Zeiten, in diese Orte sich hinein zu versetzen, das geht eigentlich nicht wirklich. Jeder Mensch ist in seine Zeit hinein gewachsen. Meine Kinder fragen mich Sachen, wie es damals war, in der DDR. Wie es eben war. Ich glaubte mal, alle schwarzhäutigen Afrikaner/Menschen sind Sklaven. Ich rief:“Freiheit für Louis Corvalan!“ und weg mit dem Atomraketenbeschluss! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mein Leben für Die Sache hergeben würde. Aber viele stellten einem vor die Wahl: „Bist du nicht für uns, dann bist du gegen uns!“ Was will ich also sagen….? Auf die Zwischentöne kommt es an. Veränderungen bringen Wachstum in Bewegung. Okay. es hat mich zum Nachdenken gebracht, dein Text.

    • Charly war ein ganz besonderer Mensch, seine Geschichte ist so heftig. Und trotzdem war er immer zurückhaltend mit seinem Hass auf die Vergangenheit. Leider ist er schon 2011 verstorben.
      Es freut mich, dass mein Text dich erreicht hat.

  • Liebe Jana. Zu Auswandern fällt mir auch gleich ein Einwandern. Etwas Vertrautes eintauschen mit der Großen weiten unbekannten Welt. Zu früheren Zeiten sicher aus großer Not. Heutzutage aus einem reichen Deutschland auswandern? Sicher nicht aus Not. Dann vielleicht eher Flucht aus dem Rummel.

  • Finde ich gut, was du geschrieben hast.
    Was ist Heimat?… das wäre noch einmal ein neues Thema für die Schreibwerkstatt.
    Das wird jeder anders interpretieren. Bleibt spannend.

  • Ich bin auch dafür, die Wintersonnenwende zu feiern! Eigentlich liegt ja Weihnachten auch um die Zeit, weil in vorchristlichen Zeiten genau der kürzeste Tag gefeiert wurde… Und ich liebe die Dunkelheit auch – also mit Beleuchtung. Und Gemütlichkeit… Und den Trick mit dem Großschreiben habe ich in meinem Berichtsheft in der Ausbildung angewandt… Kam auch nicht so gut an. Aber ja, sich um seine Handschrift zu bemühen hat schon etwas. Sie drückt einfach doch viel aus…

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