Langeweile
Zum 90. Geburtstag von Miss Sophie
Rituale – Mir gefällt der 90. Geburtstag
Zeitgewinn
Denken und schreiben
Marcs Hund
Archibald (zum 16.04.)
Unendliches Glück (vom 2.04.)

__
Langeweile.

Mit dem Willen – tätig zu werden – endet die Langeweile.

Etwas noch Langweiligeres – als Wache zu schieben – konnte ich mir vor vielen Jahrzehnten noch nicht vorstellen. „Stau“ gab es noch nicht, weil dafür nicht genug Autos vorhanden waren. Innerhalb vierundzwanzig Stunden hatte der Wachende vier Mal das Vergnügen – zwischen Wache, Ruhe und Bereitschaft zu wechseln. Wache am Tor oder an einer Hütte. Die Hütte stand in einem riesigen Gelände – weitab von allen anderen Gebäuden. In dem Gelände war der Erdboden nicht bereit – anspruchsvolle Pflanzen wachsen zu lassen. Es herrschte eine große Dürre. Aufgabe war es – immer um die Hütte in der Wildnis rum zu laufen – um sie vor dem Zugriff der Feinde zu schützen. Vor Wach-Antritt gab es eine Belehrung. Alles – was sonst erlaubt ist – war verboten. Diese Veranstaltung duldete weder Widerspruch noch Fragen.

Es gab zwei Möglichkeiten – Stumpfsinn oder Spiel. Habe mich für Spiel entschieden. Die wenigen zig Meter wollte ich nicht allein laufen. Gemeinschaftlicher Spaziergang mit einem anderen Lebewesen – außer dem Feind – war bei der Belehrung nicht verboten worden. Feind waren alle erdgebundenen Lebewesen außerhalb des Gelände-Zaunes. Der „böse Feind“ war außerhalb des großen Zaunes um das ganze Land.

Zum gemeinschaftlichen Spaziergang habe ich eine Feld-Grille auf-gespürt und gefangen. Sie lebte ja innerhalb des Zaunes. Von der waren – nach vorheriger Befragung – keine feindlichen Aktionen zu erwarten. Die Feld-Grillen sind schwarz, bis zu 25 mm lang und haben einen kugeligen Kopf. Sie haben durchsichtige Flügel. Um anziehender auszusehen, haben sie ihren Flügeln einen gelben Ansatz gegeben. Grillen springen nicht wie Heuschrecken, sondern hüpfen kurz. Von Mai bis August machen die Männchen wunderschöne Musik – sie zirpen. Vor dem Musizieren müssen sie aus ihren Löchern heraus kommen und sich umdrehen. Diesen Moment habe ich genutzt, um einer den Rück-Weg zu versperren. Nach der Entnahme, Namensgebung und Gespräch auf Augenhöhe habe ich sie auf den Erd-Boden des Weges gesetzt. An die Namen meiner Grillen kann ich mich nicht mehr erinnern. Zur Nennung meines eigenen Namens kann ich auf meinen Ausweis zurück-greifen.

Nach der gegenseitigen Vorstellung habe ich die Feld-Grille zwischen meinen Stiefeln um die Hütte geführt. Während dieser Spaziergänge hatte die Grille meine ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Als wir am Startpunkt ankamen – waren meistens die zwei Stunden um. Bis zum nächsten Aufzug hat sie in einer belüfteten Schachtel gewartet – unfreiwillig. Seltsamer Weise haben sich die Grillen – auch nach mehreren Spaziergängen – den Weg nicht gemerkt. Wie ich die Grillen versorgt hatte, habe ich auch vergessen. Sie haben alle das Spiel überlebt. In dieser Zeit hätte man mich und die Hütte mühelos wegfangen können – Schwund ist immer. Am Ende dieser Circus-Nummern waren die Grillen frei. Sie wurden wieder in ihre Löcher gesetzt – gleich richtig rum.

Für die Wache am Tor mussten wir uns etwas anderes einfallen lassen. Meine Kameraden und ich haben an Stelle von Grillen – Kraftfahrer dressiert. Für die haben wir einen Wettbewerb organisiert. Ziel war, so dicht wie möglich an den Tor-Balken heran zu fahren. Zur Messung hatten wir ein Schneider-Bandmaß. Allgemein wurde es für die letzten 100 Tage gebraucht. Zur Gewöhnung – an das Ziel – wurde es schon in den ersten 100 Tagen beschafft. In einem rituellen – hoch emotionalen – Akt wurde ab dem ersten der letzten 100 Tage von zwei Jahren – jeden Abend ein Zentimeter abgeschnitten.

Kein Wettbewerb ohne Training. Die Kraftfahrer haben im Fuhrpark vor den Garagen-Toren trainiert. Alle LKW standen in gleichem Abstand vor den Toren. Auf Kommando – Motor starten und losfahren. Nach einer einfachen Regel siegte der Schnellste mit dem geringsten Abstand zum Tor.

In fast jedem Kollektiv gibt es mindestens eine unangenehme Figur. Eine solche haben die Kraftfahrer zum Training in den drei-achsigen – Allrad-angetriebenen fünf-Tonnen LKW – „G5“ gesetzt. An einem wunder-schönen Nachmittag ist – während des Abstands-Trainings – dieser Mensch mit dem G5 durch das geschlossene Tor gefahren – ohne vorherigen Halt. Den dahinter abgestellten LKW „LO“ hat der G5 durch die rückwärtige Mauer der Garage geschoben. Der LO fiel in den hinter der Garage angeordneten Graben. Er diente dann als Bremse für den G5. In der Zwischen-Zeit war der Brems-Druck-Zylinder des G5 ausreichend gefüllt. Der Fahrer des G5 hatte seinen Fuß immer-noch auf dem Brems-Pedal – nun wirkte es. Der LO wurde dadurch nicht zerquetscht. Mit der Frontscheibe nach oben – sah er aus wie eine Rakete auf der Start-Rampe. Ein seltsames Bild. Zum Start fehlten ihm nur die Flügel und Kraft. Sein Motor hatte nur 70 Ps.

Als fähiger Kraftfahrer hätte er wissen müssen, dass nach dem Start des Motors beim G5 eine Wartezeit zum Druck-Aufbau vorgesehen ist. Den Wettbewerb „Abstand“ hatte er uneinholbar gewonnen. Seine Zeit war nicht so gut. Nach dem ersten Bums war er Handlungs-unfähig. Es gab keine Verletzten Menschen – außer vielleicht andern Lebewesen – wie Feld-Grillen. Ansonsten große Betroffenheit – war ja nicht vorauszusehen. Es gab für diese Spitzenleistung – „geringster Abstand“ – eine Kollektiv-Strafe. Keinen Urlaub und Ausgang bis zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes. Wir hatten ausreichend Beschäftigung. War dieses Schauspiel in einer sonst Ereignis-losen Zeit das wert? Im tiefsten Innern war kein Bedauern. Wenn das unsere Feinde gewusst hätten… – sie erfuhren es nicht – war ja Urlaubs- und Ausgangs-Sperre.

__
Zum 90. Geburtstag von Miss Sophie.                                         Zum Zum 90. Geburtstag von Miss Sophie. 08.02.2021

„Wissenschaft ist der Verstand der Welt – Kunst ihre Seele – eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“ . „Vergessen ist das Geheimnis ewiger Jugend“ .

Miss Sophies Spruch zum 90. Geburtstag lebt von der Genauigkeit ihrer Sprache. Sie ist wahrscheinlich so alt geworden, weil sie neben zweckfreien auch nützliche Regeln präzise eingehalten hat.
Im Laufe der Geschichte hatten nur die Arten der Lebewesen überlebt, die brauchbare Verhaltensweisen entwickelt hatten. Die Menschen haben – unter Anderem – Kulturen, Wirtschaftsweisen, Gesetze, Normen und Regeln entwickelt, um ihr Über- sowie Zusammen-Leben zu gestalten. Zufolge Egoismus, Maßlosigkeit und Ignoranz wissenschaftlicher Erkenntnisse – werden sie sich voraussichtlich selber abschaffen.
Meine ehemaligen Arbeits-Kollegen treffe ich immer am Freitag nach dem 11.11. in einer Gaststätte. Wir feiern dort jährlich den Geburtstag unseres ältesten Kollegen Franz. Er wurde am 11.11.1914 geboren. Ihn habe ich als Praktikant am 01.09.1964 kennen gelernt. Er und der Chef unserer Versuchsstelle – Heinz – sind vor einigen Jahren gestorben. Bei den jährlichen Feiern denken wir an sie und trinken auf ihr Wohl im neuen Leben. Für sie lassen wir immer zwei Stühle frei – ihren Seelen steht ein Platz am Tisch zu.
Für sie zählte neben Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung – auch Trink-Festigkeit. Heinz hatte als 14-jähriger unfreiwilliger Front-Soldat den Wert von Ideologie – vor und nach der Kapitulation – kennen gelernt. Franz hat als mit-genommener Spezialist – nach 1945 – von der kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit russischen Ingenieuren berichtet. Nur ein Gerät, was in seiner Gruppe entwickelt wurde, ging in die Serien-Produktion. Dessen Konstrukteur hatte sich in die Gedankenwelt der Russen hinein-versetzt. Als ich nach dem Studium im Juli 1966 ihr Kollege wurde, war ich glücklich. Sie haben sogar akzeptiert, dass ich mich zwei Jahre lang geweigert hatte – in die Gewerkschaft einzutreten. Als ich eine Wohnung für meine Familie brauchte, habe ich aufgegeben. Zur Strafe wurde ich sofort Vertrauensmann. Sogar meine weitere Qualifizierung haben sie unterstützt.
Die Bedingung „Trinkfest“ hatte ich nach der Weihnachts-Feier 1964 aller Versuchs-Stellen des Werkes zufällig erfüllt. Nach dieser Feier bin ich mit der S-Bahn nach Hause gefahren. Als am nächsten Morgen die Schicht-Arbeiter im Zug sitzen wollten, haben sie mich von meinem Nachtlager vertrieben. Als ich den Bahnhof „Schöneweide“ erkannt hatte, bin ich – wie immer – ausgestiegen. Dann schwamm ich in dem sehr dichten Menschen-Strom mit zur Straßenbahn-Haltestelle. Alles Weitere passierte wie dressiert. Kommentar des Chefs: Mitternacht fast volltrunken und am folgenden Morgen pünktlich als Erster am Arbeitsplatz – tolle Disziplin.
Die Frau des Chefs wollte 1988 ihre Mutter in Westberlin besuchen. Ihr wurde gesagt, dass es die letzte Genehmigung ist. Sie hat getan- was angesagt. Danach hat sie keine mehr gebraucht. Heinz hat daraufhin einen Ausreise-Antrag gestellt. Er wollte zu seiner Frau. Seine Meldung: Kanal voll.
Fast zeitgleich – am Ende eines zweijährigen Projektes – wurde ich für „geisteskrank“ gehalten. Nach Methoden des polnischen Mathematikers Jan Mikusinski hatte ich die zu lösende Differential-Gleichung berechnet. Die Mehrzahl der Polen lehnte das bestehende System ab – deshalb waren für unsere Genossen auch die Lehren dieses Mathematikers ungeeignet.
Für alle Projekte, die ich bearbeitete – habe ich mir ein Ersatzschaltbild als Modell erarbeitet. Für die am Ende zu lösenden Differential-Gleichungen gibt es sehr viele Lösungs-Verfahren. Meine Problem-Lösung habe ich in einem Patent beschrieben. Dagegen waren sie machtlos. Während des Studiums hatte ein bibelfester Dozent von uns unübliche Lösungen von Aufgaben gefordert – selber denken. Nur dadurch sind viele nützliche Dinge erfunden worden.
In einem Schau-Prozess hatte ich einen nicht benannten Fehler in meiner Arbeit bestritten – ich war uneinsichtig. Nach deren Meinung konnte ich deshalb nicht normal sein.
Der Verleumdungs-Mechanismus ist ganz einfach – er verleiht Macht über andere: Behauptungen erfinden – Zweifel säen – falsche Dinge verbreiten – Privates veröffentlichen.
Mit dem Ausreise-willigen Heinz und mir „Geisteskranken“ Menschen durfte Anfang 1989 niemand im Werk reden. Unsere Kollegen der ehemaligen Versuchsstelle haben zu uns gehalten und das Redeverbot ignoriert. Mehr ging nicht.
In der Schlange vor der Essen-Ausgabe im Werk habe ich Heinz erzählt, dass eine Psychologin bei mir keinen geistigen Schaden gefunden hat. Sie hatte gesagt, dass ich jetzt die schicken sollte, die mich geschickt haben. Dieses Gespräch von uns „zwei Geächteten“ wurde belauscht und verbreitet. Das hat mich vor der Einweisung in ein Irrenhaus gerettet. Noch am selben Tag wurde mir mitgeteilt, dass ich mir ab sofort eine neue Arbeit suchen muss. Mir wurde vorgeworfen, dass ich mich wie mein Landsmann – der Anhaltiner Michael Kohlhaas – verhalten würde. Vorgesetzten kann man etwas ein- aber nicht aus-reden. Wer gibt schon zu – auf einen Scharlatan reingefallen zu sein.
Meine neue, viel besser bezahlte Arbeitsstelle im Umwelt-Bereich wäre beinahe Mitte Februar 1989 an der Einstellungs-Untersuchung gescheitert. In den vielen Farbtafeln habe ich nur die schwarze acht auf weißem Grund erkannt. Die Ärztin sagte, dass sie so ein farb-blindes Huhn – wie mich – noch nie erlebt hat. Als ich ihr erklärt hatte, warum ich die Stelle brauche, hat sie ins Protokoll geschrieben, dass ich nur ein Bild nicht erkannt habe. In den Diagrammen, die ich dann erarbeitet habe, wurden die Linien nicht mit Farben, sondern mit Strichen und Punkten dargestellt. Geht doch.
Die neue Stelle war ein Glücksfall. Am 9.11.1990 habe ich ein Umwelt-Fernstudium aufgenommen. Nach dem Einigungs-Vertrag wurde ich entlassen – wie ca. 80 % meiner Landsleute. Danach hatte ich neun Monate bezahlte Warte-Zeit – mir eine neue Arbeit zu suchen. In dieser Zeit habe ich begonnen, einen neuen Beruf zu erlernen, eine Projektgruppe in einer privaten Forschungs-Gesellschaft aufzubauen und nebenher ein Unternehmen zu gründen. Bis zum Alter von 70 Jahren habe ich dann gearbeitet – ohne Arbeitslosigkeit. Doof hat Schwein.
Einer meine Vorfahren hatte sich vom Bergmann zum Unternehmer qualifiziert. Am 27.11.1904 wurde in Wergzahna eine von seiner Firma in einen Sumpf gebaute Brücke eingeweiht. Sie steht noch immer und hält großen Lasten stand. Mein Weg nach Zahna führt immer über diese Brücke.
Es gibt wahrscheinlich eine höhere Gerechtigkeit. Für Rache-Gedanken hatte ich weder Zeit noch Interesse. Außerdem verabscheue ich so etwas. Fiese Figuren – denen ich einmal ausgeliefert war – wurden meist von innen zufolge Neid und Bosheit zerfressen. „Mitleid bekommt man geschenkt. Neid muss man sich verdienen .“
Mein Garten, Freunde und das „Autogene Training“ haben mir in dieser kritischen Zeit sehr geholfen – nicht zu verzweifeln. Sie gaben mir Halt und Orientierung. Immer, wenn ich in meinem Garten ankam, hatte ich die intriganten Pfeifen vergessen. Dort war das wahre Leben. Die vielen Pflanzen und wilden Tiere haben mir Freude bereitet. Wenn man etwas übersteht – wird man sicherer.
So, wie sich bei Miss Sophie mit jedem Namen ihrer unsichtbaren Gäste ein Mensch mit einer Geschichte verbindet, so ist es auch bei unseren jährlichen Abteilungs-Treffen.

__
Rituale – Mir gefällt der 90. Geburtstag

Im Laufe der Zeit habe ich mir angewöhnt, Struktur in mein Leben zu bringen. Das gibt Halt – sichert die logische Reihenfolge der Arbeiten. Der Kasper im russischen Circus hat im Sommer 1945 den Hausbau mit dem Schornstein begonnen. Daran denke ich oft, wenn ich das Tun einiger Menschen beobachte. Aktio = Reaktio. Wenn ich in den Garten gehe, um die Wid-Vögel zu füttern, fliegen einige nebenher. Dieses Ritual macht mich glücklich.

Mir gefällt die Geschichte vom 90. Geburtstag.
Mit meinen ehemaligen Arbeits-Kollegen feiere ich immer am Freitag nach dem 11.11. im „Lehmofen“ in Köpenick den Geburtstag unseres ältesten Kollegen Franz. Er wurde am 11.11.1913 geboren. Ihn habe ich als Praktikant am 01.09.1964 kennen gelernt. Er und der Chef unserer Versuchsstelle sind vor einigen Jahren gestorben. Bei den jährlichen Feiern denken wir an sie und trinken auf ihr Wohl im neuen Leben. Für sie lassen wir immer zwei Stühle frei – falls sie wiederkommen. Auch ihren Seelen steht ein Platz am Tisch zu.
__
Zeitgewinn

„Man verliert die meiste Zeit damit, dass man Zeit gewinnen will.“ Jon Steinbeck.

In der letzten Zeit hatte ich den Eindruck, mein Garten-Nachbar sieht irgendwie anders aus. Es konnte eine optische Täuschung sein. Seit vier Jahren kannten wir uns. Ein Jahr hatten wir am Aufbau der Gartenanlage mitgearbeitet. Danach hatte jeder seine Parzelle gestaltet. Wir sahen uns selten. Seit fast einem Jahr fanden wir – so wie es unter Nachbarn üblich ist – kaum Gesprächsstoff. An diesem Tag muss ich ihn länger angestarrt haben. Auf einmal sagte er „Ich bin`s – Dein Nachbar“. Da habe ich noch ungläubiger geguckt. Dieser Mann sah sehr viel anders aus. Sein Gesicht war voller Narben. Dann hat er seine Geschichte erzählt.
Bericht meines Nachbarn.
Mit meinem Trabant bin ich hinter einem drei-achsigen Bison-LKW hergefahren. Weil ich es eilig hatte, versuchte ich den riesigen Kipper zu überholen. Ich war kurz hinter ihm. Einen Überholvorgang musste ich wegen Gegenverkehr abbrechen. Plötzlich bleib der LKW stehen. Der Beifahrer wollte aussteigen – wie ich später hörte.
Beim Trabant musste man einen Halt zeitig einplanen – die Bremsen sind nicht so gut. Trabant-Fahrer, die zum ersten Mal mit einem richtigen Auto gefahren sind, berichteten, dass sie beinahe durch die Frontscheibe gefallen wären, nachdem sie das Brems-Pedal angetippt hatten.
Mein Trabant verschwand unter dem LKW. Total-Schaden. Die Rettungskräfte hatten große Mühe, die Trabant-Trümmer und mich unter dem LKW hervor zu polken. Das Bewusstsein hatte ich nicht verloren. Wach bleiben wollte ich. Fast alles – was die Rettungskräfte sagten und die Geräusche des weitergehenden Lebens – hörte ich. Sie diskutierten, wie sie mich möglichst vollständig und schonend behandeln. Eine Frau sagte, welche Teile meines Körpers sie fand. Dann legten sie mich und einige der gefundenen Einzelteile – wie die abbe Nase und Ohren – auf eine Trage. Es war viel Zeit vergangen. Die Rettungskräfte äußerten Zweifel, dass ich noch lebe. Sie taten, was sie tun mussten – ein fast hoffnungsloser Fall. Ein Kranken-Transport darf keine Toten befördern. Auf der Bahre sah ich wahrscheinlich nicht lebendig aus – Lebenszeichen fehlten.
Schmerzen spürte ich nicht. Hören konnte ich immer noch. Das ging auch ohne die äußeren Ohren. Eine Rettungskraft sagte: „Der ist tot“. Weil ich noch bei Bewusstsein war, musste ich mich bemerkbar machen. Reden oder schreien konnte ich nicht – nur Zappeln! Wahrscheinlich waren viele Knochen gebrochen. Zur Bewegung musste ich alle meine Kräfte zusammen nehmen. Das Zappeln wurde bemerkt. Nun sollte es schnell gehen. In Gedanken sagte ich mir immer wieder „nicht einzuschlafen – ich will leben“. Als sie mich in die Notaufnahme eines Krankenhauses gefahren hatten, das gleiche Spiel.
Eine Stimme: „Der ist tot!“. Wieder Zappeln! Das Krankenhaus-Personal: „Nun aber schnell!“ Nach der Entkleidung lag ich auf der Bahre als etwas, was nach deren Worten nur Menschen-ähnlich war. Sie zählten auf, welche abgegangenen Teile sie neben mich gelegt hatten. Man kam zu dem Schluss, dass ich nun wahrscheinlich doch tot bin. Ich lebte doch noch – jedenfalls fühlte ich mich noch lebendig – nur eingeschränkt. Wieder nahm ich alle Kraft zusammen und zappelte. Das wurde bemerkt. Mein Zappeln muss die Ärzte überzeugt und ihren Ehrgeiz angestachelt haben. Sie beschlossen, mich wieder zusammen zu flicken – einen der nicht aufgibt und nicht jammert. Eine der Ärztinnen sagte, dass sie alles tun werden, mich wieder herzustellen. Ich sehe Frau und Kinder wieder – war meine Hoffnung. An sie habe ich die ganze Zeit gedacht. Dann fehlt mir ein Stück Film – gegen das Betäubungsmittel war ich machtlos.
Als ich wach wurde, war ich wie eine Mumie eingewickelt. Schmerzen hatte ich nicht. Das lag wahrscheinlich an den starken Mitteln, die sie mir spritzten. Von da an begann der lange und anstrengende Weg zurück ins Leben. Als ich später in den Spiegel sehen konnte, waren Nase und Ohren wieder da, wo sie hingehörten.
Nun bin ich wieder da. Bald arbeite ich auch wieder – aber eingeschränkt. Der, den Du im letzten Jahr gesehen hast, war mein Bruder.
17.12.2020

__
Zum 03.12.2020 n. Chr.
Liebe Kirsten, liebe Schreiber*innen,

betrifft „Denken und schreiben“.
„Der Körper folgt dem Geist“ (Bruce Lee).
Etwas Nützliches entsteht wahrscheinlich nur, wenn ein Bedarf vorhanden ist und jemand vorher nachgedacht hat.
In den ersten Jahren meines Lebens habe ich glücklich im Wald gelebt. Seit ich ab 01.09.1945 die Schule besuchen musste, hatte ich Probleme. Was ich dort sollte, weiß ich immer noch nicht. Schwimmen habe ich ohne Hilfe gelernt. Mit dem Spruch vom „unwerten Leben“ wurde ich auf „Rechts“ umerzogen. Meiner Schrift sieht man den Widerwillen an. Lange Zeit still sitzen und zuhören ist unnatürlich. Der Mensch und seine Vorfahren waren Lebewesen in Bewegung – Jäger und Sammler.
In Oranienbaum führte mein Weg in die Schule durch ein Lager der „Roten Armee“. Das sicherte Frühstück und Mittagessen.
Ältere Menschen machten von der Prügelstrafe Gebrauch. Einer hätte mich 1944 beinahe mit meinen Spaten erschlagen, nachdem er ihn erobert hatte. Meine Baskenmütze hat mich gerettet. Tiefflieger machten Jagd – auch auf Kinder. Nicht nur im Luftschutzkeller, sondern auch danach ging es ums Überleben. Menschen – die Labern, Befehlen, Schreiben und ähnlich Unpraktisches konnten – gab es auch in dieser Zeit ausreichend.
Gebraucht wurden Menschen, die Nahrung, Wohnraum, Heizmaterial, Werkzeug und Gebrauchs-Gegenstände beschaffen oder herstellen konnten. Nachdem wir im Frühjahr 1946 nach Zahna gezogen waren, wurden wir fast Selbst-Versorger. Mit Freude konnte auch ich einen Beitrag leisten – ein gutes Gefühl. Einige meiner katholischen Mitschüler*innen in der Umsiedler-Klasse einer evangelisch geprägten Schule hatten „Front-Erfahrungen“ – wie auch einige Lehrer*innen. Manchen fehlten Gliedmaßen. Einige starben beim Kohle-Klauen von Güterzügen. Die Schule hat auf einem Plakat darauf hingewiesen, dass so etwas verboten ist – uns ansonsten Zeit gestohlen, die wir nützlicher gebrauchen konnten. Meine Zeugnisse waren entsprechend.
Später habe ich einen ordentlichen Beruf erlernt – nützliche Dinge entwickelt und gebaut.
Auf meine Jungs habe ich keinen Druck ausgeübt. Sie haben Sport getrieben und sich prächtig entwickelt.
Viele Grüße
Klaus.

Was wäre, wenn die Künstler nicht unter
Krieg, Not und Ideologen gelitten hätten?
Franz Marc hätte bestimmt alle Tiere gemalt – auch Hasen.
Hasen sind die einzigen Tiere, die man nicht einsperren kann.
Da würden die blauen Grenzen von „Russi“ fehlen.
Ein weißer Hase im Schnee. Nur die Augen, die Nase und die Schnurr-Haare
wären vielleicht zu erkennen – ein fast unsichtbares glückliches Tier.
Wäre das nicht eine schöne Zukunft im nächsten Leben?
Ein schöner Traum – eine glückliche Zukunft.

__

Hausaufgabe zum 7. Mai:

„Von einem Bild des Städel-Museums in Frankfurt am Main beeindrucken und inspirieren lasssen.“

Völlig gegen meine Gewohnheit – habe ich ein Tier-Bild ausgewählt. Hoffentlich wird das akzeptiert. Begründung: 2008 kürten die Städel-Besucher den „Liegenden Hund“ von Franz Marc zu ihrem Lieblings-Bild. Dem habe ich mich angeschlossen. Seine Bilder hinterlassen mit ihren klaren Formen und Farben auch bei mir einen starken Eindruck.

weiter

Aus der Werk-Beschreibung:

Franz Marc (* 08.02.1880, am 04.03.1916 gefallen bei Verdun) gründete 1912 gemeinsam mit Wassily Kandinsky in München die expressionistische Künstler-Vereinigung „Blauer Reiter“. Zu ihr gehörte später auch Paul Klee. An der Programm-Schrift des Expressionismus „Blauer Reiter“ war er beteiligt. Er bevorzugte Tiermotive. In idealistischer Weise beschäftigte er sich mit dem Wesen der Tiere. Entsprechend ihrem Wesen  stellte er sie in kräftigen Farben und geometrischen Formen dar. Außerdem war er von der griechischen Mythologie begeistert. Mit August Macke (*03.01.1887, gefallen am 26.09.1918), der dem „Blauen Reiter“ nahe stand, war er befreundet. August Macke hatte einen eigenen Stiel – „glühender Farbigkeit nach seiner Auseinandersetzung mit dem Kubismus und Futurismus“ – entwickelt sowie Franz Marc beeinflusst.

Einige Werke von Franz Marc:

„Pferd in Landschaft“, „Liegender Hund im Schnee“, „Weiße Katze“, “Abstrakte Formen“, „Turm der blauen Pferde“, „Der Tieger“, „Vier Füchse“, „Drei Katzen“, „Spielende Katzen“, „Elefant- Pferd- Rind“, „Kämpfende Kühe“, „Der Fuchs“…..

Für Franz Marc verkörperte das Tier im Einklang mit der Natur die Idee eines ursprünglichen und reinen Lebens – eine all-umfassende Harmonie der Schöpfung. Damit befindet er sich im Widerspruch mit ideologischen und religiösen Fanatikern. Seine Werke wurden während dem National-Sozialismus beschlagnahmt. Sie fielen unter die „Entartete Kunst“. Einige Werke werden seither vermisst – wie der “Turm der blauen Pferde“.

Mein Großvater ist im gleichen Jahr wie Franz Marc geboren und hatte ein ähnliches Schicksal . (* 14.07.1880,  gefallen am 13.10.1917 in Flandern).

Mein Eindruck.

Das Bild „Liegender Hund im Schnee“ zeigt die Welt aus Sicht seines Hundes „Russi“. „Russi“ ist gelb und liegt geborgen im weißen Schnee. Er hat ein blaues Halsband. Das Bild enthält weitere kleine blaue Flächen, die um den Hund herum angeordnet sind. Das Halsband sowie die anderen blauen Flächen stellen seine äußeren Grenzen dar. Er ist kräftig, aber – zufolge der blauen Flächen – nicht frei. Sie wirken nicht bedrohlich – aber einschränkend. Der Bogen seines liegenden Körpers drückt eine Spannung aus. Der gespannte Bogen beginnt am Schwanz und endet in der Schulter. Das blaue Band trennt Kopf und Pfote vom Körper. Der Kopf hält die Pfote fest und damit kann sich seine Spannung nicht entladen. Nach Goethes Farbkreis bedeutet Gelb „Verstand“. Gelb steht auch für kreativ, mitteilsam – leichtblütige, heitere und lebhafte Lebewesen (Sanguiniker). Das Blau des Halsbandes steht für melancholische, hilfsbereite und empfindliche Lebewesen. Es drückt seine unfrei-willige Treue zu seinem Herren aus.

Seit wir im Unterricht den Expressionismus behandelt hatten, ist Franz Marc der Kunst-Maler, dessen Bilder mich bisher am meisten beeindruckt haben. Er stellt die Tiere mittels geometrischen Formen und kräftigen Farben als Persönlichkeiten dar. Beim betrachten eines seiner Bilder kann ich mir vorstellen, was das Tier fühlt. Der „Liegende Hund“ ist in einer Erwartungs-Haltung. Er weiß, dass er den Anforderungen seines Herren genügt und hat deshalb eine innere Ruhe. Seine Existenz ist gesichert. Er ist sich sicher, dass er versorgt und gut behandelt wird. Ganz tief in seinem Innersten fühlt er, dass seine Vorfahren wilde Tiere waren. Davon kann er aber nur träumen. Mit seinem jetzigen Dasein hat er sich verstandes-gemäß abgefunden.

Das erste Buch, was ich von meinen Eltern geschenkt bekam, war von E. Young „Meine Hunde im Nordland“. Darin wurde das Leben der Schlitten-Hunde aus Sicht der Hunde beschrieben. Seit dieser Zeit sind die Tiere für mich gleichberechtigte Lebewesen mit einer Seele und einem individuellen Charakter. Wenn ich Gelegenheit dazu habe, beobachte ich Tiere. Fast jeden Tag füttere ich im Garten Vögel. Außerdem bekommen sie frisches Wasser in einer großen Schale. Es ist ein Vergnügen, sie beim Fressen, Trinken und Baden zu beobachten. Sie verhalten sich unterschiedlich. Es ist schon vorgekommen, dass Grüfinken bettelnde kleine Kohlmeisen gefüttert haben.

Wenn ich mich ganz geduldig ruhig verhalte, tauchen außer den Vogeln auch viele andere Tiere auf, wie Igel, Rehe, Feld-Hasen, verschiedene Mäuse, Enten, Füchse, Waschbären, Eichhörnchen……

Das Verhältnis zwischen Tier und Mensch.

Mark Twain:

„Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und ihn satt machst, wird er dich nicht beißen. Das ist der Grund-Unterschied zwischen Hund und Mensch.“

Mahatma Ghandi:

„Eine Zivilisation kann man danach beurteilen, wie sie ihre Tiere behandelt.“

Die Bibel:

Im ersten Buch Mose steht geschrieben (ein Auszug):

1      Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und öde, finster war es über den Wassern. Da sprach Gott: Es soll Licht entstehen und es entstand Licht.

20    Und Gott sprach: Im Meer soll es von Meerestieren wimmeln und Vögel sollen in der Luft fliegen.

24    Und Gott sprach: Die Erde soll alle Arten von Tieren hervorbringen – Vieh, Kriechtiere und wilde Tiere.

26    Da sprach Gott: Wir wollen Menschen schaffen nach unserem Bild, die uns ähnlich sind. Sie sollen über die Fische im Meer, die Vögel im Himmel, über alles Vieh, die wilden Tiere und über alle Kriechtiere herrschen

28    Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde und nehm sie in Besitz. Herrscht über die Fische im Meer, die Vögel in der Luft und über alle Tiere auf der Erde. (5. Tag).

Die Menschen werden nach der christlichen Lehre hirarchisch geordnet. Sie erhielten die Macht über andere Menschen, die geamte Erde, die Tier- und Pflanzenwelt. Seit ihrem Erscheinen auf der Erde haben die Menschen – insbesonder weiße Menschen und Häuptlinge – in zunehmendem Maße die natürlichen Landschaften, andere Menschen, die Vegetation und Tier-Welt zerstört. Fast die Hälfte der Menschheit – die Frauen – werden den Männern untergeordnet. Von einer Minderheit wird das Lebensrecht der Mehrheit eingeschränkt.

? Gott will das ?

? Haben nicht alle Wesen ein gleiches Existenzrecht?

 

__

Archibald

Einführung.

Im Brief vom 05.04.2020 wurde mir zugestanden – an Stelle eines Menschen zur Figuren-Entwicklung – ein Tier zu verwen-den. Es gab mindestens zwei Möglichkeiten. Der Grau-Reiher „Hugo“ – dem ich auf dem Weg in den Garten nahe der Ente-Brücke über der Wuhle oft begegnete – ist wegen Niedrig-Wasser umgezogen. Von der Dohle, der ich im Park des Internates vor 65 Jahren das Leben gerettet und dann aufgezogen habe, ist mir leider der Namen entfallen. Aus aktuellem Anlass war es nahe-liegend, „Archibald“ zur Figuren-Entwicklung zu verwenden. In meinem Buch „Kleingärten am Kienberg“ hatte ich ihn schon erwähnt.

Vor 56 Jahren hatte ich nach einer Maschinen-Erprobung als geschätzten Nutzen bei der Einführung [20.000,00 M] angegeben. Ein höherer Vorgesetzter war enttäuscht, weil ich als junger Ingenieur eine grade Zahl angegeben hatte. Seit dieser Zeit liefere ich nur noch „wissenschaftliche Zahlen“. Das bitte ich zu entschuldigen. [19.753,1957 M waren in Ordnung.]

Das Pass-Bild von Archibald wird leider nicht übertragen. Es ist Bild 7.68, S. 125 im Buch “Kleingärten am Kienberg”.

weiter

1        Grundlagen.

Archibald ist ein männlicher Drache. Er wurde am Ende des Erd-Mittelalters (Kreidezeit) – als letzter seiner Art – in einem „Jahr des Hasen“ geboren. Seine Eltern verstarben mit den aller-letzten Sauriern. Seine Familie nannte ihn – schon wegen seines Geburtsjahres und seiner Ernährungs-Vorlieben – „Häs`chen“. In dieser Zeit war die Bevölkerung auf der Erde übersichtlich. Vor den Menschen lebten auf der schönen Erde fast nur Mikroben, Pflanzen, Tiere, Steine, Götter und Geister. Götter-Vater Zeus fiel Archibald auf, weil er sehr neugierig und klug war.

Damit er im Winter nicht verhungert, hatte ihm Hekate, die Göttin der Erde und Zauberkunst – auf Anweisung ihres Vaters Zeus – das Überleben als wahlweise körperloser Geist in oder außerhalb eines bestimmten Steins ermöglicht. In der Vegetations-Periode konnte er wieder seine ursprüngliche Gestalt annehmen. Sein jetziger Wohnort ist die Konfuzius-Statue in den “Gärten der Welt“ Marzahn.

 

2        Außenbild.

Archibald ist von schlanker Gestalt, 13,579 m lang und wiegt 1357,753 kg. Seine Haut ist schuppig und ganz bunt. Er hat leuchtend blaue Augen und ist als letzter seiner Art – unsterblich.

 

3        Auftreten.

Archibald tritt – in Bescheidenheit und aus innerem Antrieb – nur zum Drachenfest in den “Gärten der Welt“ öffentlich auf. Aus diesem Anlass zieht er sein festlichstes buntes Schuppenkleid an. Zur Freude der Kinder kann er fauchen und Feuer speien. Dabei beachtet er die Hinweise der Feuerwehr. Archibald kann fliegen und schweben. Er bewegt sich wie eine Schlange in ca. 1,357 m Höhe über der Erde. Seine freundliche und rücksichts-volle Art widerspricht den landläufigen Vorstellungen von Drachen. Er hat eine unsichtbare Beobachter-Funktion und ist deshalb nicht angreifbar.

 

4        Medizinische Aspekte.

Archibald ist Vegetarier und hat eine prächtige Gesundheit. Er genießt die Gunst von Götter-Vater Zeus. Um Feuer zu speien, braucht er viel Energie. So wie der Gallier „Obelix“ aus Wild-Schwein-Braten Kraft schöpft, tut es bei Bedarf auch Archibald. Dazu organisiert Hekate für ihn am Tag vor dem Drachen-Fest Futter. Im Wuhletal leben viele Wildschwein-Familien. Sie müssen bei der Futtersuche öfter über die Cecilien-Straße laufen. Die Wildschwein-Mütter mit ihren Kindern stellen sich vor der Überquerung am Fahrbahn-Rand auf und gucken in beide Richtungen – schließlich gibt es auch Geister-Fahrer.

Nur die Eber sind unvorsichtig. Da ihre Anzahl zu groß ist, organisiert Hekate in der Nacht vor dem Fest einen Unfall mit einem Lastkraftwagen. Weil die Straße in einem schlechten Zustand ist und der Fahrer unaufmerksam, bemerkt er den Unfall nicht. Archibald räumt danach die Straße auf. Alles geht seinen Gang – wie immer.

 

5        Psychologische Aspekte.

Archibald ist ohne Leiden, angstfrei, von guten Manieren, ausgeglichener Gefühlslage – sehr Tier- und Kinder-lieb. Sein Interesse gilt der gesamten wissenschaftlichen und gesellschaf-lichen Entwicklung auf der Erde. Er hat eine große wissen-schaftliche Neugier. Mit viel intellektueller Demut ist er offen für Fakten und Argumente. Aufgeschlossen verfolgt er als unsichtbarer Beobachter – frei von dogmatischen, religiösen oder ideologischen Vorlieben – die Entwicklung auf der Erde seit seiner Geburt.

Als Geist hat er unbegrenzten Zugang zu allen Erkenntnissen der Menschen. So – wie es Geister-Gottesdienste, Spiele, Konzerte und Theateraufführungen gibt – ist er Geister-Wissenschaftler. Er gehört deshalb – zufolge seiner umfangreichen Kenntnisse – zum wissenschaftlichen Berater-Gremium von Vater Zeus.

375 Jahre vor unserer Zeitrechnung hat er einige buddhistische Erkenntnisse verinnerlicht. Ihn hat interessiert, wie Leiden entsteht. Er ist zu der Erkenntnis gelangt, dass Leiden durch „Nichtwissen“ und „Durst“ entsteht. Ein Kernstück der buddhistischen Tradition ist das „Entstehen in Abhängigkeit“. Sie beschreibt die notwendigen Bedingungen des menschlichen Lebens: Geburt, Alter, Tod.

Durst entsteht aus Gier und Hass. Gier, Hass und Unwissenheit verursachen im Lebensprozess ein Ungleichgewicht. Durch dieses Ungleichgewicht entstehen Krankheiten.

Nur Meditation und ein achtsames Leben fördern die Bedingungen für das innere Gleichgewicht – Gesundheit und Unsterblichkeit

 

6        Vergangenheit.

Zur 750-Jahr-Feier Berlins wurden in Marzahn die „Gärten der Welt“ gestaltet. Für den „Chinesischen Garten“ wurde – außer dem Erdboden – alles aus China angeliefert. Dazu gehörte auch eine Konfuzius-Statue. Im tibetanischen Hochland fand der Künstler einen Stein, mit dem er die Ethik der Harmonie, der Tugenden sowie des Ahnenkults mit Riten und Zeremonien darstellen konnte. Seine Figur sollte die Menschen zur moralischen Vervollkommnung anregen. Zeus persönlich führte den Künstler zu dem Stein, in dem Archibald lebt. Er sollte die Botschaft

„Was du nicht willst, das füge anderen nicht zu“

in die Welt tragen. Berlin war zu dieser Zeit der entscheidende Ort zwischen zwei feindlichen Lagern. In einem Krieg oder Bürgerkrieg wäre auch seine Heimat – die Statue – zerstört worden. Es gab drei Besorgnis erregende Ereignisse.

Zur Lösung des ersten Problems hat Archibald im Rat der Götter die Befolgung von Sun Tsu`s Lehre „Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft“ vorgeschlagen. Die größte Leistung eines Kämpfers besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen. Ort und Zeit der entscheidenden Schlacht waren langfristig zu planen. Die Strategie blieb unsichtbar. Der Überraschungsangriff am Abend war am wirkungsvollsten, weil sich alle auf die Ruhephase vorbereiteten. Die täglichen Abend-Nachrichten verursachten eine unbezwingbare Bewegung – den „Fall der Mauer.“ Die entscheidende Schlacht hatte wie ein Wolkenbruch die Ordnung destabilisiert und zum Untergang gebracht. Der Angriff erfolgte an Stellen, die nicht verteidigt werden konnten. Der danach einsetzende Frieden war nur von kurzer Dauer. Die Staatenlenker erkannten nicht die sich darbietenden Chancen.

Das zweite Problem war die zunehmende Umwelt-Zerstörung zu Lasten nachfolgender Generationen – verbunden mit der Vernichtung von Lebewesen, Vegetation, Wäldern, Landschaften, Flüssen und Meeren. Parks und Gärten wurden zugunsten von Bauten zerstört. Im Rat der Götter wurde – auf Anregung Archibald`s – die Aktivierung der in ihrer Zukunft bedrohten Jugend beschlossen und umgesetzt. Wieder ignorierten die führenden Staatenlenker die Tatsachen und Aktivitäten der Jugendlichen.

Das dritte Problem – Reparatur der Schäden und Herstel-lung einer gerechten Gesellschaft – löste Zeus Mannschaft wieder mit Sun Tsu`s Methode. Die Verbreitung eines Virus betrifft alle ganz plötzlich. Eines der kleinsten Lebewesen, das nur in anderen Zellen überleben kann, hat die Bevölkerung der ganzen Erde in Angst und Schrecken versetzt. Nun haben die Menschen Zeit darüber nachzudenken, was zu ändern ist. Bei fehlender Einsicht und „Labern statt Handeln“ sind die Möglichkeiten des Viren-Einsatzes unbegrenzt. Andere Möglichkeiten sind unter Anderem Erdbeben, Vulkan-Ausbrüche, Sintfluten, Eiszeiten und Ozon-Löcher. „Nicht die Ozon-Löcher am Himmel sind das Problem, sondern die A-Löcher auf der Erde“ – hat ein Komiker gesagt. Es ist interessant, wie viele Versuche bis zum Erfolg notwendig sind.

7        Gegenwart.

Archibald ist guten Mutes. Noch ist ihm immer zu jedem Problem eine Lösung eingefallen. Im Gegensatz zu den Staaten-Lenkern befolgen die Götter den Rat von Wissenschaftlern.

 

8        Zukunft.

Archibald`s Traum ist es, dass das Wuhletal, die „Gärten der Welt“ und die Kleingarten-Anlage „Am Kienberg“ immer erhalten bleiben.

 

9       Warum hat Archibald Einfluss auf Zeus?

Auch Zeus – braucht ein rundum wissenschaftlich gebildetes Ideologie-freies Gegenüber“. Das Abwehrsystem im Hirn schützt die Identität. Dazu ein Zitat von Maren Urner [“Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“, DROEMER, 2019, S. 182.]:

„Menschen, die einen hohen Grad an wissenschaftlicher Neugier haben oder über eine gehörige Portion intellektueller Demut verfügen, sind offener für Fakten, Argumente und Positionen, die ihre Überzeugungen in Frage stellen. Diese intellektuelle Demut geht einher mit der oft erwähnten Offenheit, Neugier, einer höheren Toleranz für Zweideutigkeit und geringem Dogmatismus. Menschen mit einem hohen Grad dieser Demut sind sich weniger sicher, dass ihr religiöser Glaube der richtige ist, verurteilen Politiker, die ihre Position anpassen, weniger schnell als sprunghaft – und sind empfänglicher für überzeugende Gegen-Argumente.“

__

Unendliches Glück

Sein Blick in den Park mit einem fröhlichen Gesicht zufolge
so schönem Sonnenschein vermittelt dem Menschen Glück.
Ihm ist ganz wohlig zumute
und er hat sich auf eine Decke über den Blümelein im Rasen gelegt.

Der Mensch hat nicht bemerkt, dass sich auf seinem Stück Wiese ein Erd-Hummel-Mann mit seiner Familie angesiedelt hat,
der sich heftig zur Wehr setzt. Der Mensch
ist – wie von einer Tarantel gestochen – aufgesprungen und in wilder Panik
in den angrenzenden Wald geflohen. Dort sonnte sich gerade eine Wildschwein-Familie

Nur manchmal hat man noch von diesem Menschen gehört, der
sich im Park erholen wollte. Es geht die Geschichte, dass seine Kleidung den Wildschweinen nicht geschmeckt hat. Es geht
geht durch alle Nachrichten-Blätter
und hört sich am Stammtisch und auch im Kindergarten grauslich an.

Die Moral von der Geschicht
Unendliches Glück gibt es nicht.

18 Gedanken zu “Schreibwerkstatt_Klaus”

  • Lieber Klaus, deine Gedanke zu Marcs Hund haben mich sehr beeindruckt. Auf mehreren Ebenen hast du einen Bezug genau zu diesen Bild und du hast es so vielschichtig beschrieben. Wenn ich es mehrfach lese, entdecke ich immer neue Sichtweisen, neue Gedanken darin. Echt beeindruckend.

  • Was wäre denn nun wenn? Der Hase selbst zu sein oder so ein Glitzerschnee-bild zu malen mit dem versteckten Schneehasen. Als Suchbild.

  • von Christine:
    Danke für deine Erinnerungen. sie habe mich so an die von meinem Bruder erzählte Kindheit erinnert. Es war hart , gefährlich. Danke, lieber Klaus

  • Hallo Klaus,
    auch wenn du so burschikos darüber schreibst, liest man doch die Schwere der damaligen Zeit heraus, die wir als „spätergeborene“ zum Glück nicht so erleben mussten.
    Schreib das mal auf, für die jungen Leute… denn ihnen fehlt der Bezug dazu.

  • Na klar war es zu schweren Zeiten hilfreicher, zu wissen, wo man was zum schlachten zum heizen zum anziehen herbekommt.
    Am Einfältigsten sind wohl heutzutage die Analphabeten.
    Ich fände es trotzdem schade, wenn ich die ganzen schönen Bücher nicht entziffern könnte.
    Mein jüngster Sohn, der inzwischen 21 ist, ließ sich mit 10 Jahren nur Bücher schenken. Der macht jetzt auch eine Ausbildung zum Bibliothekar (hätte man früher gesagt, heißt heute irgendwas mit Medien und Kommunikation)

  • Diesen Text zu schreiben ist dir bestimmt nicht leicht gefallen bei den Erinnerungen. Das Ende war schön. Dieses Trotz alledem. Ging mir nahe.

  • Zeitgewinn – – – –
    Lieber Klaus, das ist dir bestimmt ganz schön nahe gegangen mit deinem Nachbar. Mit der „Zeit“, das ist so eine Sache. Mich beschäftigte das schon mein Leben lang, weil von klein alle und jeder behauptete, ich wäre sooo langsam. Ich sagte mir, ich gehe immer gleichmäßig gleich schnell. Wenn ich doch mal mit rennen anfing, wegen der Straßenbahn, wegen dem Klingelzeichen in der Schule oder weil es anfing zu regnen, dann „kam mir die Straße hoch“ wie Stufen und ich stolperte. Dabei schabte ich mir jedesmal die Knie auf.

  • Zeitgewinn
    Lieber Klaus, deinen Text musste ich erst einmal sacken lassen.
    Eine starke Erzählung nicht nur vom Inhalt her, sondern durch die kurzen prägnannten Sätze spannend geschrieben.

  • 07.01.2021 __Rituale__Mir gefällt der 90. Geburtstag.
    Im Laufe der Zeit habe ich mir angewöhnt, Struktur in mein Leben zu bringen. Das gibt Halt – sichert die logische Reihenfolge der Arbeiten. Der Kasper im russischen Circus hat im Sommer 1945 den Hausbau mit dem Schornstein begonnen. Daran denke ich oft, wenn ich das Tun einiger Menschen beobachte. Aktio = Reaktio. Wenn ich in den Garten gehe, um die Wid-Vögel zu füttern, fliegen einige nebenher. Dieses Ritual macht mich glücklich.

  • 90. Geburtstag
    Lieber Klaus, was für ein schönes Ritual!
    Das erinnert mich an einen Spruch: nur die Pflanze die über gute Wurzeln verfügt kann schöne Blüten treiben!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert